Digitale Insel-Lösungen hemmen digitale Transformation
- Nadja Lüdicke

- 26. Jan. 2023
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 11. Dez. 2024
Warum die digitale Abbildung von Insel-Prozessen weder Kosten spart noch die Effizienz Ihrer Prozesse steigert.

Kennen Sie die Situation? Ihr Kunde möchte gern kurzfristig deutlich mehr Ware einkaufen. Der Sales in uns jubelt! Dann kommt die entscheidende Frage. Der Kunde braucht die Ware sofort, können Sie liefern? Nicht selten ist die prompte Antwort: “Kein Problem!“ An dieser Stelle bekommen Verantwortliche aus den operativen Bereichen regelmäßig graue Haare. Denn welche Fragen stellen sich tatsächlich?
Wie ist der aktuelle Lagerbestand?
Liegen weitere Bestellungen auf diesem Artikel?
Bei Halbfertigwaren – sind ausreichend Packmittel und Ressourcen vorhanden?
Welche Auswirkungen hat dieser Auftrag auf den Produktionsplan?
Welche Auswirkungen hat diese Bestellungen auf meine Reichweite?
Werden sich andere Aufträge dadurch verzögern?
Je nach Unternehmen lassen sich eine Reihe weiterer Fragen hinzufügen, insbesondere wenn zusätzliche Freigaben durch Regulatory Affairs benötigt werden. Wie schnell können Sie die eingangs gestellte Frage nach Ihrer Lieferfähigkeit also tatsächlich valide beantworten?
Überprüfen Sie sich selbst, wie viele Personen in Ihrem Unternehmen wären nun damit beschäftigt, diese Fragen zu beantworten? Und im Hinblick auf die Digitalisierung Ihrer Prozesse, wie viele Excel Tabellen würden gerade geöffnet, mit Daten gefüttert und wilde Auswertungen gestartet? Wie schnell und mit welchem Aufwand können Sie die eingangs gestellte Frage nach der Lieferfähigkeit beantworten?
Aus eigener Erfahrung heraus wünschen sich an dieser Stelle die meisten Kollegen geeignete Lösungen, die ihnen die nötigen Informationen auf Knopfdruck liefern. Auf Entscheider-Ebene herrscht manchmal eher Staunen bis Unverständnis darüber, dass die Informationen nicht schneller bereitgestellt werden. Der Wunsch nach automatisierten Lösungen ist also grundlegend vorhanden und die Vorteile für das gesamte Unternehmen bekannt.
Wo sind die Hürden, die dazu führen, dass viele Unternehmen dennoch bei ihrem alten analogen System bleiben, oder nur punktuell digitalisieren und am Ende nicht effizienter arbeiten, dafür aber mehr Geld ausgeben?
Insel-Denken führt zu Insel-Lösungen
Kommen wir im Folgenden zu einer mehr theoretischen Betrachtung Ihrer Prozesse. Denn zunächst ist es wichtig digitale Insel-Lösungen vom Prozess der digitalen Transformation als Strategie zu unterscheiden – und so beginnen wir mit der simplen und doch entscheidenden Frage: Wie gut kennen Sie Ihre Prozesse?
Wie gut kennen Ihre Mitarbeiter Ihre Prozesse? Kein MedTech-Unternehmen ohne SOPs, aber geben die wirklich Ihre aktuellen Prozesse wieder?
Gehen wir einen Schritt weiter, wie gut kennen Ihre Mitarbeiter Ihre End-to-End Prozesse? Wo startet ein Prozess, wo endet er? Wer ist an welcher Stelle am Prozess beteiligt und wer braucht zu welchem Zeitpunkt welche Informationen?
Warum stelle ich diese Fragen? Weil hier der entscheidende Hebel liegt, der zu einer digitalen Transformation, oder zu digitalen Inseln führt.
Wie sieht es in der Praxis häufig aus? Da ist der Einkauf, der auf den Forecast von Sales wartet. Sales möchte wissen, wann ein bestimmter Artikel wieder auf Lager ist. Die Produktionsleitung wartet auf die Chargenfreigabe durch Regulatory und fragt den Einkauf, wann nun endlich die neuen Packmittel geliefert werden. Die Qualitätssicherung trägt ihre Daten fleißig ins Logbuch ein und die Mitarbeiter in der Auftragsbearbeitung brauchen bestimmte Dokumente im Original für den Export.
Viele verschiedene Unternehmensbereiche arbeiten am gleichen Prozess, benötigen dieselben Informationen und die Güte ihres Zusammenspiels entscheidet über die Qualität ihrer Arbeit.
Informationen bereitstellen - wo und wann sie gebraucht werden
Jeder Bereich hat seine eigene Not und sucht nach Abhilfe – um so dringender je schneller Ergebnisse erwartet werden. Abhilfe verschaffen die allseits beliebten Excel-Tabellen, die sicherlich auch an der einen oder anderen Stelle ihren Sinn haben. Manche Unternehmen stellen einfach mehr Mitarbeiter ein. Aufgaben bleiben liegen, weil schlicht die Ressourcen fehlen. Gerne werden aber auch verschiedene digitale Tools eingekauft, die einen Teil-Prozess automatisieren, oft jedoch nur den Schritt, auf Papier zu arbeiten, ablösen.
Lassen Sie mich ein passendes Beispiel aufgreifen. Für ein Unternehmen, das CAPA-Formulare ausdruckt, handschriftlich befüllt – was gar nicht so selten der Fall ist – und es dann dem Nächsten auf den Schreibtisch legt, ist ein digitales pdf-Dokument eine Erleichterung. Die Tatsache allein, dass dieses Unternehmen nun Informationen direkt ins Dokument eingeben kann, bedeutet nicht, dass es einen automatisierten Prozess implementiert hat. Es hat lediglich die Schreibmaschine erfunden. Was fehlt sind Work-Flows, Schnittstellen und Auswertungsmöglichkeiten.
Es ist verständlich, dass Menschen zuerst Lösungen ihres individuellen Problems suchen. Ohne Strategie und das Verständnis der End-to-End Prozesse können diese Lösungen aber schnell neue Probleme schaffen und zudem teuer werden.
Ein gutes Beispiel hierfür, welches mir in der Praxis immer wieder begegnet, ist der Wunsch vieler QARA-Verantwortliche, die händeringend ein Dokumentenmanagementsystem (DMS) suchen – nachvollziehbar bei der beträchtlich wachsenden Dokumentenmenge, der sie Herr werden und diese auch jederzeit finden müssen. Diesen Zweck erfüllt ein solches System hervorragend – es kann jedoch viel mehr. Die Anschaffung und Implementierung eines DMS ist zeit- und kostenintensiv, dieses am Ende nur für QARA zu nutzen ist zu kurz gedacht.
Vom operativen Lösungsansatz zur digitalen Strategie
Betrachten wir also individuelle Probleme ausschließlich auf der operativen Ebene, finden wir individuelle (Insel-)Lösungen, oder setzen Lösungen nur punktuell ein, obwohl sie viel mehr könnten. Mögliche Synergieeffekte finden bei diesem Ansatz oft keine Beachtung. Viele kleine Lösungen kosten Geld, müssen gepflegt werden und fördern nicht das vernetzte Denken. Nicht selten werden diese Lösungen dann wieder abgeschafft, oder schlimmer sie bleiben ungenutzt liegen. Zurück bleiben unzufriedene Mitarbeiter und die Ablehnung gegenüber hilfreichen innovativen Ideen.
Machen Sie es anders!
Nehmen Sie individuelle Probleme zum Anlass (alle) ihre Prozesse hinsichtlich dieser Problematik zu überprüfen. Sie sind wichtige Gradmesser und Indikatoren, die durchaus gehört werden sollen. Sie werden feststellen, dass meist mehrere Bereiche in Ihrem Unternehmen – um in unserem Beispiel zu bleiben - auf die gleichen Informationen zugreifen müssen.
Ein weiterer positiver Effekt dieser Herangehensweise ist eine Effizienzsteigerung Ihrer Prozesse, indem bislang „in Reihe geschaltete“ Prozesse zeitlich verkürzt werden, da Informationen parallel bereitgestellt und verarbeitet werden können.
Statt einer singulären Lösung innerhalb eines einzelnen Unternehmensbereichs suchen Sie nun nach Lösungen, die das Problem an allen Stellen des Prozesses behebt. Hier empfehle ich Ihnen auch einen Blick in die Zukunft zu werfen. So können zukünftige Prozesse direkt von der Lösung profitieren, andere Prozesse werden hingegen möglicherweise obsolet.
Bringen Sie Ihre digitale Strategie überein mit Ihren Unternehmenszielen
Neben den oben beschriebenen Lösungsansätzen zur Steigerung Ihrer Prozessqualität, ist es wichtig sich grundlegende Gedanken, über die Resilienz ihrer Prozesse im Hinblick auf Ihre gesteckten Unternehmensziele, zu machen. Sie wollen Ihr Geschäft skalieren, neue Märkte erschließen oder Ihre Sales Channel erweitern? Im gleichen Zuge, wie Sie darüber nachdenken und entsprechende Pläne schmieden, spendieren Sie Ihren Prozessen ein paar Gedanken und fragen Sie sich, inwiefern diese auch skalierbar sind.
Solange Sie sich in einem Bereich mit geringer Artikelvielfalt, überschaubarer Auftragslage und berechenbaren Kundenanforderungen befinden, können Sie Ihr Geschäft sicherlich auch gut mit den genannten Hilfsmitteln und engagierten Mitarbeitern abbilden. Dies ist häufig der Fall, wenn Sie mit Ihrem Unternehmen gerade starten. Sobald Sie aber Ihr Wachstum planen, geben Sie Ihren Prozessen den Feinschliff und nehmen Sie sich Zeit bei der Suche nach geeigneten digitalen Lösungen, die sie optimal unterstützen und Sie auf Ihrem Weg in die Zukunft begleiten.
Fazit
Hinter Insel-Lösungen steckt Insel-Denken. Kurzfristig können so Probleme behoben werden. Wenn Sie aber nicht ständig Feuerwehr spielen und langfristig wachsen wollen brauchen Sie resiliente und skalierbare Prozesse. Binden Sie die digitale Transformation in Ihre Unternehmensstrategie mit ein und nehmen Sie sich die Zeit für Sie geeignete digitale Lösungen zu finden, die zu Ihnen passen und Ihre Prozesse optimal abbilden.
In eigener Sache
Lassen sich mich noch ein mir besonders am Herzen liegendes Thema an dieser Stelle kurz anschneiden. Digitale Lösungen können viel – denken Sie an KI, Metaverse und Blockchain. Sie ersetzen aber nicht den Menschen. Denken Sie in Prozessen, so beginnt dieser bei einem Menschen und endet bei einem – Ihrem Kunden.




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